Social Freezing
Was versteht man unter Social Freezing?
Social Freezing ist gezielte Lebensplanung für Frauen. Das Einfrieren von Eizellen in jungen Jahren soll die Wunschschwangerschaft auf einen späteren Lebensabschnitt verschieben und so der biologischen Uhr zuvorkommen.
Immer mehr Frauen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand, wenn es darum geht Mutter zu werden. Sehen Sie dazu auch den folgenden ORF-Beitrag mit Priv. Doz. DDr. Michael Feichtinger und einer Patientin:
Die moderne Reproduktionsmedizin bietet ja auch genügend Möglichkeiten: Von der Insemination über IVF bis hin zur Samenspende, gibt es ein breit gefächertes Angebot. Immer wieder heiß diskutiert: Social Egg Freezing, das Einfrieren von jungen Eizellen, die dann zum richtigen Zeitpunkt wieder aufgetaut, befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt werden können. Durch dieses Verfahren können Frauen den individuell optimalen Zeitpunkt für die Empfängnis selbst bestimmen, wenn gerade der passende Partner nicht vorhanden ist oder um etwa zuerst Karriere zu machen und danach in Ruhe Mutter zu werden.
Die Eizellen-Uhr tickt
„Der Kinderwunsch hat sich in österreich zeitlich stark auf später verschoben“, sagt Prof. Dr. Wilfried Feichtinger, Reproduktionsmediziner und Gründer des Wunschbabyinstituts WIF in Wien. Statistiken belegen: Der Kinderwunsch hat sich in den letzten 30 Jahren stark nach hinten verschoben. Das Problem dabei ist hinlänglich bekannt: Je älter eine Frau wird, desto geringer ist die Chance auf ein Baby. „Mitschuld ist die sich stetig und mit zunehmendem Alter verschlechternde Qualität der weiblichen Eizellen“, sagt Prof. Dr. Wilfried Feichtinger.
Im Alter sinkt nicht nur die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden, gleichzeitig steigt auch die Gefahr genetischer Defekte. „Während bei einer 30-Jährigen jede zweite bis dritte Eizelle chromosomal in Ordnung ist, reduziert sich das bei einer 40- jährigen Frau bereits auf zirka jede fünfte bis sechste Eizelle“, sagt der Mediziner.
Was liegt da näher als das Aufbewahren junger Eizellen? „Social Freezing ist vor allem in den USA eine weit verbreitete Maßnahme um die biologische Uhr zu stoppen, Japan und Großbritannien praktizieren Kliniken die Eizellenvorsorge schon seit Jahren.“ So Priv.-Doz. DDr. Michael Feichtinger, ärztlicher Leiter des Wunschbaby Institut Feichtinger in Wien.
"Mir ist es besonders wichtig, das Bewusstsein der Bevölkerung und auch der ärztlichen KollegInnen dafür zu schärfen, dass wir als modernes Kinderwunschzentrum längst nicht mehr nur für den aktuellen Babywunsch zuständig sind, sondern uns vielmehr aufklärend und begleitend um Fertilität von Männern und Frauen kümmern", so Dr. Nazira Pitsinis, ärztliche Leiterin des Wunschbabyinstitut Feichtinger am Standort Baden.
Besonders bei onkologischen Erkrankungen kommt die Beratung betreffend Fertilitätserhalt bei jungen Männern und Frauen manchmal zu kurz. Hintergrund ist nicht zuletzt der Wunsch der PatientInnen nach einer raschen onkologischen Therapie ohne Verzögerungen.
"Durch Kooperationen mit onkologischen Abteilungen und Fortbildungsveranstaltungen mit ärztlichen KollegInnen wollen wir künftig starker Begleiter auch in solch schwierigen Lebenssituationen sein", so Pitsinis.
Bei besonderen medizinischen Indikationen, frühzeitigem Versiegen der Ovarialfunktion (POF primary ovarian failure), Endometriose und nicht zuletzt bei Krebserkrankungen ist es möglich, Eizellen zu vitrifizieren. Aber auch bei anderen, weit häufigeren Erkrankungen wie Endometriose, dem PCO Syndrom, Schilddrüsenerkrankungen und Autoimmunerkrankungen sollte gerade bei einer Verschiebung des Kinderwunsches über das 35. Lebensjahr hinaus ein vorsorgliches Einfrieren der Eizellen erwogen werden. "Generell empfehlen wir bei einem absehbaren späteren Kinderwunsch ein Beratungsgespräch um hier böse überraschungen in späteren Lebensjahren zu vermeiden und zusätzliche Risikofaktoren für eine spätere Kinderlosigkeit ausschließen zu können", so Priv.-Doz. DDr. Michael Feichtinger.
In seinem WIF bietet er Kryokonservierung an, das Einfrieren von Zellen – etwa von befruchteten Embryonen, Spermien oder Hodengewebe – in flüssigem Stickstoff.
Interview mit Univ. Prof. Dr. Wilfried Feichtinger über Social Freezing
Das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz (FMedRÄG 2015) hielt am Verbot des Social Freezing fest. Sollte es Ihrer Meinung nach in Österreich zulässig sein?
Univ. Prof. Feichtinger: "Ja, sollte es. Der Begriff „social“ ist unglücklich gewählt. Denn bei den jungen Frauen, die sich an unserem Institut für Kinderwunsch für das Krykonservieren ihrer Eizellen interessierten, bestand bis dato immer noch mindestens eine medizinische Indikation, sei es Endometriose, eine Schilddrüseninsuffizienz wie beispielsweise Hashimoto thyreoiditis oder ein polyzystisches Ovarialsyndrom. Das sind allesamt Voraussetzungen, die das Kryokonservieren von Eizellen erlauben."
Stellt das Social Freezing an sich überhaupt ein Fortpflanzungsverfahren dar, um die Voraussetzungen des FMedG erfüllen zu müssen?
Univ. Prof. Feichtinger: "Ja, Social Freezing stellt ein Fortpflanzungsverfahren dar, denn eine Verwendung der kryokonservierten Eizellen bedingt einer IVF/ICSI."
Gibt es für das Verbot des Social Freezing überzeugende Argumente?
Univ. Prof. Feichtinger: "Meiner Meinung nach nicht. Damals, bevor das FMedRÄG2015 verabschiedet wurde, sind Experten, unter anderem aus dem Bereich der Reproduktionsmedizin zum Gesetz bzw. zu den Änderungen befragt worden. Auch ich war einer dieser befragten Experten. Ich kann nur so viel sagen, und zwar, dass wir, die ExpertInnen auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin das Social Freezing erlaubt hätten.
Es geht hier um Politik, darum, den Konservativen und der Kirche nicht weh zu tun, deshalb hat der Gesetzgeber meiner Ansicht nach Zugeständnisse gemacht und das Social Freezing auch weiterhin verboten."
Wie würden Sie in Bezug auf Social Freezing das Höchstalter der Frau festlegen? Bis zu welcher Altersgrenze dürfte ein Zurückgreifen auf kryokonservierte Eizellen erlaubt sein?
Univ. Prof. Feichtinger: "Ich sehe hier den natürlichen Wechsel als Limitierung an, also um die 50 Jahre der Frau.
Das hängt aber entscheidend auch vom Partner ab, mit dem sie die Therapie dann durchführt. Eine 50-jährige Frau, die einen jungen, fertilen Partner hat, wird kein Problem haben, eine Therapie durchzuführen. Das Ganze ist aber selbstlimitierend, denn eine 70-jährige Frau wird in der Regel keinen fertilen Partner haben."
Kritiker argumentieren oft damit, dass Social Freezing in die natürliche Ordnung eingreife und gegen ein Naturgesetz verstoße, das allein dem Willen Gottes unterläge. Dieses „Natürlichkeitsargument“ ist gängig. Welche Meinung haben Sie dazu?
Univ. Prof. Feichtinger: "Diese Kritik stammt von den Konservativen. Dann dürfte es aber auch kein Antibiotikum und auch keine Coronavirus-Impfung geben, denn auch dies widerspricht der Natur."
Wie sehen Sie die Zukunft von Social Freezing in Österreich?
Univ. Prof. Feichtinger: "Ich bezweifle, dass es in Österreich je so sein wird, wie in den USA, wo große Firmen wie „Apple“ oder „Facebook“ ihren Mitarbeiterinnen Social Freezing auf Firmenkosten offerieren.
Ich, als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und Reproduktionsmediziner, habe keine Ambitionen, bereits Teenagerinnen vorzuschlagen, dass sie in möglichst jungen Jahren eine Eizellreserve anlegen.
Ich kann auch keinen Trend dahingehend beobachten, dass Teenagerinnen oder junge Frauen mit Anfang zwanzig sich mit der Kinderfrage, geschweige denn mit der Social-Freezing-Thematik beschäftigen. Denn wer sich schon mit 23 ernsthaft mit der Kinderfrage auseinandersetzt, wird die Familienplanung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht so lange aufschieben.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Zahl der Interessentinnen für Social Freezing in Österreich zwar überschaubar, aber nicht übersehbar."
Stellt Social Freezing in Bezug auf Feminismus den „großen Gleichheitsbringer“ dar?
Univ. Prof. Feichtinger: "Ich habe ehrlicher Weise noch nie daran gedacht einen Bezug zum Feminismus herzustellen. aber ja: Wenn wir schon bei Männern Spermien “auf Vorrat” einfrieren können und das seit vielen Jahren, dann sollte man das bei Frauen genau so dürfen, im Sinne der Gleichberechtigung."
Schock-Frosten
Die Gewinnung von Eizellen sollte beim Social Freezing so früh wie möglich stattfinden. „Je jünger die gewonnenen Eizellen sind, desto besser“, sagt Priv.-Doz. DDr. Michael Feichtinger. Bei dem sogenannten Vitrifikationsverfahren werden dann zunächst zehn bis 15 Eizellen entnommen, die im Anschluss mit einer speziellen Abkühltechnik, bei der die Zellen binnen eines Bruchteils von Sekunden bei minus 197 Grad glasartig erstarren und schockgefrostet werden. Inzwischen ist wissenschaftlich weitgehend abgesichert, dass das Einfrieren die Qualität der Zellen nicht mindert. „Die gefrorene und aufgetaute Zelle einer jungen Frau ist so gut wie eine frische“, sagt der Arzt.