
SpringerMedizin.at
Gynäkologie und Geburtshilfe 5. Oktober 2010
"Er ist ein Vordenker und ein genialer Mensch"
Der österreichische Reproduktionsmediziner Prof. Dr. Wilfried Feichtinger erinnert sich im Interview an seinen Freund und wissenschaftlichen Wegbegleiter Robert Edwards, der dieses Jahr für die Erforschung der In-vitro-Fertilisation mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wird.
Der Nobelpreis für Medizin geht heuer an den wissenschaftlichen "Vater" des weltweit ersten Retortenbabys, an Robert Edwards. Mit seiner bahnbrechenden Erforschung der In-vitro-Fertilisation (IvF), die anfangs als sehr umstritten galt, hat der 85-Jährige heute vier Millionen Frauen weltweit zu ihrem Wunschkind verholfen.
In Österreich erblickte 1982 im Wiener AKH das erste "Retortenbaby", Slatan Jovanovic, das Licht der Welt. Seine drei medizinischen Väter waren Dr. Peter Kemeter , Dr. Stephan Szalay und Dr. Wilfried Feichtinger, die sich schon frühzeitig mit der in vitro-Fertilisation auseinandergesetzt haben. 20.000 Retortenbabys später erinnert sich Wilfried Feichtinger im Interview an seinen Wegbegleiter Robert Edwards und an die Anfänge der In-vitro-Fertilisation.
SpringerMedizin.at: Sehen Sie Robert Edwards als ihren persönlichen Lehrmeister?
Feichtinger: Ja natürlich. Obwohl er um einiges älter ist, kann ich sagen, dass er mein Freund gewesen ist. Ich sage deshalb „gewesen“, weil man ihn leider nicht mehr auf den Kongressen sieht. Er ist krank und geht nicht mehr unter die Leute.
Deshalb kommt der Nobelpreis leider fast zu spät für ihn. Er ist ein sehr freundschaftlicher, offener und wirklich netter Mensch und er hat mir bei meiner Habilitation sehr geholfen. Ich wurde ja angefeindet. Man wollte mich nicht habilitieren lassen und Robert Edwards hat mir damals sogar ein Gutachten geschrieben.
SpringerMedizin.at: Das Nobelpreiskomitee führt als Grund für die Entscheidung den "Paradigmenwechsel in der Behandlung von Frauen mit Fertilisationsstörungen" an.
Feichtinger: Natürlich war das ein Paradigmenwechsel, weil durch kaputte Eileiter der Frau nichts mehr zu machen war. Man konnte versuchen, die Eileiter operativ zu öffnen, um die Sterilität zu beheben, aber das ist nur in den seltensten Fällen gelungen. Deshalb war die logische Idee die Umgehung der kaputten Eileiter und das ging nur mit In-vitro-Fertilisation. Dafür war eine ausgiebige Grundlagenforschung nötig. Robert Edwards hat Jahrzehnte lang an Tierversuchen gearbeitet.
SpringerMedizin.at: Robert Edwards begann bereits in den 1950er-Jahren in Cambridge zu forschen, war damals das Ziel schon klar?
Feichtinger: Sein Ziel war, seine Erkenntnisse aus den Mäuseversuchen auf den Menschen umzusetzen: Nämlich die Befruchtung von Eizellen mit Samenzellen im Reagenzglas und die darauf folgende Schwangerschaft durch das Einsetzen in die Gebärmutter. Glücklicherweise hat er in Patrick Steptoe einen genialen Partner gefunden. Dieser war einer der ersten Gynäkologen weltweit, der sich mit der Laparoskopie, mit der Bauchspiegelung befasst hat.
SpringerMedizin.at: Steptoe war wie viele Kollegen damals kein gefeierter Wissenschaftler, sondern sehr umstritten.
Feichtinger: Das ist ein völliger Unsinn. Er war ein seriöser Landprimar und hat eine neue Methode, nämlich die Bauchspiegelung eingeführt. Aus der Zeit heraus kann man aber verstehen, dass er als umstritten galt: Die Leute sahen einen Landprimar, der Frauen im Spital mit Hormonen behandelt. Dann entnimmt er Eizellen und führt sie in ein Labor nach Cambridge, um sie dort künstlich zu befruchten. Zusätzlich gab es fast zehn Jahre lang nur Fehlschläge.
SpringerMedizin.at: Auch Sie hatten in Österreich anfangs als Reproduktionsmediziner sehr zu kämpfen.
Feichtinger: Natürlich, damals an meiner Klinik, der zweiten Frauenklinik in Wien, haben ältere Professoren gesagt: So ein Blödsinn, das geht beim Menschen nie. Das wird nie funktionieren und wir zwei, der Peter Kemeter und ich, machen unsere Arbeit umsonst. Diesen Ruf zu rehabilitieren, das hat relativ lange gedauert.
Robert Edwards Leistung war aber nicht nur die Tat der ersten erfolgreichen In-vitro-Fertilisation, sondern ging viel weiter: Er hat Ethik-Kommissionen, wissenschaftliche Gesellschaften und Journals gegründet. Er war auf allen Kongressen und hat gelehrt. Vor allem aber hat er junge Menschen animiert zu forschen. Er hat Ideen produziert und er hat viele andere inspiriert. Er ist ein Vordenker und ein genialer Mensch.
SpringerMedizin.at: Auch Robert Edwards wurden in Großbritannien Forschungsgelder verweigert. Er musste, um weiter machen zu können, seine Arbeit privat finanzieren. Ist das in ihren Augen ein klassisches Forscherschicksal oder war die Situation damals besonders prekär?
Feichtinger: Das ist ein Forscherschicksal. Und es ist auch typisch, dass er erst so spät zu Ehren kommt. Zu Lebzeiten wird man angefeindet und dann irgendwann - so wie zum Beispiel Semmelweis - wird einem die Ehre zuteil, fast schon posthum, muss man sagen. Zusätzlich kommt auch noch Neid ins Spiel.
SpringerMedizin.at: Neid?
Feichtinger: Steptoe und Edwards haben eine Privatklinik gegründet. Sie haben die Klinik natürlich in der Nähe von Cambridge ins Leben gerufen, damit Edwards seine Lehre fortsetzen konnte. In die Klinik sind zunächst die Reichen aus der ganzen Welt gekommen, die sich eine Behandlung leisten konnten. Da haben sie natürlich viel Geld verdient.
Springermedizin.at: 1978 kam das erste Retortenbaby, Louise Brown auf die Welt. Das war der erste Meilenstein, für den Robert Edwards heute der Nobelpreis verliehen wird. Welche folgten danach in der Reproduktionsmedizin?
Feichtinger: Ohne mich selbst loben zu wollen, aber ich habe mit einer österreichischen Firma und meinem Kollegen Peter Kemeter 1984/85 die transvaginale Eizellenentnahme entwickelt. Daran haben zwar auch andere gearbeitet, aber der wirkliche Durchbruch kam von uns: die Eizellentnahme, ohne Vollnarkose und Spital. Damit sind wir weltweit berühmt geworden.
Schrittweise gab es dann natürlich auch von Seiten der Industrie Verbesserungen, wie die kommerzielle Herstellung der Kulturmedien. Heute ist vieles einfacher geworden. Last but not least gilt das auch für die Hormontherapie: Auch die wird immer einfacher.
SpringerMedizin.at: Nicht zu vergessen die Interzytoplasmatische Injektion.
Feichtinger: Das war ein ganz wichtiger Schritt. Anfang der 1990er- Jahre ist es einem italienischen Biologen in Brüssel erstmals gelungen, ein Spermium in die Eizelle zu injizieren. Manche sagen anekdotisch es war versehentlich, weil er ausgerutscht ist (lacht), aber es hat funktioniert und das war eine bahnbrechende Neuerung, die der anderen Hälfte der Menschheit, nämlich den Männern ermöglicht hat, ihre Infertilität zu behandeln. Bis dahin ging das in vitro schlecht. Kam ein Mann mit einem schlechten Spermiogramm in die klassische IvF, so wie sie Steptoe und Edwars durchgeführt haben, funktionierte meist die Befruchtung nicht.
SpringerMedizin.at: Was sind die Themen der Zukunft in der Reproduktionsmedizin?
Feichtinger: Die Patientinnen und Patienten werden immer älter. In Zukunft werden wir auf diese gesellschaftliche Tendenz Rücksicht nehmen müssen. Ich habe heute im Durchschnitt 36-jährige Patientinnen. Das heißt, viele Frauen sind über 40 Jahre. Dadurch sind die Erfolgsraten in der IvF nicht viel besser als früher. Hätte ich heute die ALtersstruktur der Patientinnen aus den 1980er- Jahren, dann hätten wir 70- bis 100 - prozentige Erfolgsraten. Deshalb hat in meinen Augen die genetische Untersuchung einen hohen Stellenwert. Die Präimplantationsdiagnostik ist ganz wesentlich zur Feststellung der Normalität von Eizellen.
Verfahren der Zukunft sind jene, die zur besseren Spermienauswahl verhelfen oder ältere Eizellen wieder verjüngen können. Es wird auch daran geforscht, wie Männer, die durch Chemotherapie, Unfälle oder Kastration keine Spermien mehr haben, durch Umwandlung von Körperzellen in Geschlechtszellen geholfen werden kann. Zusammengefasst kann man sagen: Die Zukunft geht dahin, auf diese Zeitphänomene besser einzugehen.